Das Bundeskabinett hat am 28. November ein neues Mandat für den Einsatz deutscher Soldaten in Afghanistan beschlossen. Bis Februar 2014 soll ihre Zahl auf 3300 sinken, ein Drittel weniger als derzeit. Ende 2014 soll dann der Einsatz der Internationalen Schutztruppe ISAF beendet werden. Im Fortschrittsbericht zu Afghanistan, der dem Bundestag gleichzeitig vorgelegt wurde, heißt es: „Noch ist die Sicherheitslage in vielen Teilen des Landes instabil“. Trotz der Fortschritte beim Aufbau der afghanischen Streitkräfte „bleiben die regierungsfeindlichen Kräfte weiterhin handlungsfähig“. Dennoch wird kein Zweifel zugelassen, dass der Abzug bis Ende 2014 zu verantworten sei, den eine große Mehrheit in Deutschland befürwortet.
Drei Afghaninnen, die in Kabul Abgeordnete des afghanischen Parlaments und Aktivistinnen der Zivilgesellschaft sind, beschrieben am Tag danach bei einer Veranstaltung der Heinrich-Böll-Stiftung in Berlin, wie sehr sie diese Perspektive mit Sorge erfüllt. „Wie können wir die Sicherheit aufrecht erhalten, wenn die ausländischen Truppen fort sind?“ fragte Raihana Azad, die seit 2010 für die Provinz Uruzgan im Parlament sitzt. „Die Entscheidung für den Abzug ist gefallen. Das Jahr 2014 erfüllt uns alle mit Angst“, stimmte ihr Dr. Golalei Nur Safi bei, Ärztin und seit 2005 Abgeordnete aus Balkh und Mitglied des Hohen Friedensrates, der Möglichkeiten einer politischen Verständigung mit den Taliban und anderen Aufständischen erkunden soll. Angst vor dem Verlust der Errungenschaften gerade für Frauen in den vergangenen zehn Jahren hat auch Nargis Nehan, Gründerin und Leiterin der NGO „Equality for Peace and Democracy“ (www.epd-afg.org): „Es gibt Frauen in unserem Parlament, die Journalistinnen und erfolgreiche Geschäftsfrauen sind.“ Sie selbst ist die erste Frau im Führungsgremium der afghanischen Zentralbank. „Es gibt heute Mädchen, die ihren Schulabschluss machen. Damit ist ganz schön viel erreicht worden, gemessen an der kurzen Zeit“, sagte sie. Auch Golalei Nur Safi betont, dass es für die Frauen Afghanistans nach dem Sturz der Taliban Ende 2001 schon ein Fortschritt gewesen sei, allein das Haus zu verlassen und berufstätig sein zu können. „Wichtig ist auch, dass es heute gute Krankenhäuser in Afghanistan gibt“ ergaenzt sie weiter.
Hilfe fortsetzen, Einmischung beenden
Alle drei wünschen sich, dass ihrem Land weiterhin politisch, humanitär und militärisch Hilfe aus dem Ausland geleistet wird – und sie fordern, dass nach dem Abzug der ISAF-Truppen „die Einmischung von außen beendet wird“ – ein Verweis vor allem auf das Nachbarland Pakistan aber auch den Iran. „Wir haben Angst, erneut vergessen zu werden“, sagte eine der Frauen – so wie 1989 nach dem Abzug der sowjetischen Besatzer, als das Land im Bürgerkrieg versank.
Vieles ist also offen für die Zeit des Übergangs, der Transition, hin zur afghanischen Selbstverantwortung. Um den abstrakten Begriff „Transition“ mit Bedeutung zu füllen und die Aussichten und Perspektiven von Frauen in Afghanistan in dieser Phase darzustellen, hat die Heinrich-Böll-Stiftung eine Studie in Auftrag gegeben, die deren Autorin Andrea Fleschenberg dos Ramos Pinéu an diesem Abend vorstellte. „Afghanistan’s Transition in the Making: Perceptions and Strategies of Women Parliamentarians“ ist das Ergebnis von Gesprächen mit Parlamentarierinnen und Frauenrechtsaktivistinnen im September 2012 in Kabul. Es galt, eine Bilanz der sozialen und politischen Entwicklung Afghanistans seit 2001 zu ziehen, sodann zu erkunden, wie es nach 2014 weitergehen wird, und welche politischen Strategien und Visionen die Befragten für ein Afghanistan im Jahre 2024 haben.
Die Bilanz aus Sicht der Frauen war also bisher durchaus positiv, aber sie bemängelten, dass ihre Stimme bei der Konzeption der Transitionsphase wenig Gehör fand. „Sie in Deutschland müssen auch ihre Abgeordneten fragen, ob denn die bei dem Einmarsch propagierten Ziele erreicht wurden, in Afghanistan Stabilität und Demokratie zu schaffen“, forderte Nargis Nehan. Auch Menschenrechte und der Schutz von Frauen und deren Recht auf politische Partizipation waren Ziele des Westens. Auf die Transition folgt nun ab 2014 die Dekade der „Transformation“, und viele der befragten Frauen befürchten, dass sich nach 2014 die mühsam errungenen und intensiv genutzten Spielräume wieder verringern werden. Wie sehr wird auch entscheidend vom Verlauf und Ausgang der Präsidentschafts- und Parlamentswahlen abhängen, die 2014 und 2015 stattfinden.
Eingeschränkter Sicherheitsbegriff
In den Gesprächen für diese Studie habe es viele Fragen zur Richtung und Geschwindigkeit des Transformationsprozesses gegeben, sagte Fleschenberg. Debattiert wurde auch, ob der Zeitplan und die Abfolge der einzelnen Schritte optimal sei. Ganz grundsätzlich wurde gefragt, ob es denn legitim sei abzuziehen, solange die ursprünglichen Ziele der Intervention nur unzulänglich erreicht worden sind. Viele der Befragten waren der Ansicht, dass die Transition nicht allein auf Sicherheit fokussiert sein dürfe. Sie habe vor allem etwas mit politischer Kultur, dem Aufbau der Wirtschaft, Bildung und Infrastruktur und dem soziokulturellen Wandel zu tun. Man brauche einen gesellschaftlichen Konsens und Vertrauen, dann könne man wirklich von Sicherheit sprechen. Deshalb müsse die Transition transparent, partizipativ, inklusiv, interdependent und gendersensibel sein.
Wie kann dies erreicht werden? Auch wenn man den Wunsch nach Eigenverantwortung betont, erhofft man sich von der internationalen Gemeinschaft für die weitere Entwicklung Hilfe beim Aufbau von sozialer, wirtschaftlicher und politischer Kapazität. Wichtig sei vor allem das Füllen von Finanzierungslücken auch im zivilen Sektor, die Eindämmung von Korruption und Drogenhandel, die Stärkung zivilgesellschaftlicher demokratischer Institutionen und schließlich die Stärkung regionaler Konfliktregelungsinstrumente.
Es sind große Aufgaben für die Jahre bis 2024. Nargis Nehan beschrieb drei unmittelbare Herausforderungen. Erstens: Die nächste Präsidentschaftswahl, bei der Hamid Karzai nicht mehr kandidieren darf, müsse frei und fair ablaufen. Zweitens müsse die Übergabe der Sicherheit an die Afghanen funktionieren, und drittens müsste vor einem Abzug der internationalen Truppen ein Verhandlungsprozess mit den Aufständischen in Gang kommen.
Bei allen drei Herausforderungen sah sie noch große Fragezeichen. Golalei Nur Safi, eine von neun Frauen im Hohen Friedensrat, ergänzte, dass es mit den Aufständischen bisher nur Vorgespräche gegeben habe. Es sei nicht klar, welche Position die Taliban zur zukünftigen Rolle der Frauen akzeptieren würden.
Niemand in Afghanistan könne heute sagen, wie die eigene Zukunft aussehen werde, aber alle hätten den Willen, auf dem Erreichten aufzubauen, versicherte Nehan. Vor allem für die Frauen gelte: „Wir werden weiter darum kämpfen.“
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Beharren auf dem Erreichten
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